Geistlicher Impuls zu Ostern

Der Weg zur Auferstehung führt nur über die Liebe


Manfred Deselaers bei einem Gebet in Birkenau

            

       Als ich noch in Deutschland lebte, kamen Märtyrer in der katholischen Kultur meines Umfelds und in meiner Spiritualität nicht vor, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Selbst wenn es um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ging, ging es um Widerstand, Schuld und Verantwortung. Es ging nicht darum, den Tod anzunehmen, sondern darum, alles zu tun, um ihn zu verhindern.


Das ist, wie ich heute sehe, Täterperspektive, die Perspektive derer, die Macht haben und die Situation verändern könnten, wenn sie denn wollten. Das war im Zweiten Weltkrieg die Situation der Deutschen, und deshalb bestimmt das unsere Reflektion, zu Recht.


Nun lebe ich seit über 35 Jahren in Polen, und ganz langsam habe ich begriffen, dass aus der Sicht der Opfer etwas Anderes im Vordergrund steht: die Bereitschaft, für die Treue zu den Seinen, für Werte und den Glauben sein Leben
zu opfern. Weit über 100 polnische Märtyrer des II. Weltkrieges sind inzwischen selig- und heiliggesprochen, und sie prägen die katholische Kultur Polens.


Maximilian Kolbe ist wohl das bekannteste Zeichen dafür. Ein Mithäftling, der bei dem Appell in Auschwitz dabei war, als der polnische Franziskanerpater für einen anderen Häftling freiwillig sein Leben gab, hat uns erzählt, wie überraschend und wie wichtig diese Tat war. Die SS-Leute haben Kolbe ermordet, aber er hat trotzdem gesiegt. Er hat daran erinnert, dass es etwas Wichtigeres gibt, als zu
überleben: zu lieben. “Er hat uns an unsere Würde erinnert. Wir gingen wieder mit aufrechtem Rückgrat durch das Lager. Die SS-Männer waren unwichtiger geworden, irgendwie kleiner. Die wahren großen Menschen saßen da im Hungerbunker des Lagergefängnisses.” Papst Johannes Paul II. hat später gesagt, es war der Sieg der Liebe in der Welt des Hasses, der Sieg der Menschlichkeit im System der Unmenschlichkeit. Das solle auch den Kampf um die Freiheit der Nation prägen.1


Vielleicht ist deshalb das Ende des Kommunismus in Polen gewaltfrei gekommen. Vor drei Jahren wurde ich von Professoren der Jagiellonen Universität in Krakau aus Anlass des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz gebeten, einen Vortrag über “Deutsche katholische Priester in nationalsozialistischen Konzentrationslagern” zu halten.2


Bisher hatte ich mich mit dem deutschen Widerstand kaum beschäftigt, weil das Bewusstsein der deutschen Schuld und das Leiden von Juden, Polen und anderen Opfergruppen bei mir im Vordergrund standen. Aber ich war dankbar für diese überraschende Herausforderung. Von den 43.000 katholischen Welt- und Ordens-Geistlichen in Deutschland
kamen von 1933 bis 1945 11.500 mit Staats- oder Parteistellen in Konflikt, unter den Ordensmitgliedern jeder zehnte, unter den Weltpriestern mehr als jeder Dritte. 417 deutsche Kleriker wurden in ein Konzentrationslager eingeliefert,
zumeist nach Dachau, 109 von ihnen kamen dort ums Leben. 74 weitere Priester wurden anderswo ermordet.3


Einige von ihnen sind inzwischen seliggesprochen worden, zuletzt Max Josef Metzger in Freiburg. Es gibt viele Zeugnisse von Menschen, die den Tod nicht mehr fürchteten, weil sie wussten, dass sie nur so treu, in der Wahrheit und in der Liebe bleiben konnten. Alles andere wäre Verrat gewesen, an den Mitmenschen und an Gottes Berufung.
Als Papst Benedikt XVI. in Auschwitz war, sagte er: „Die Deutschen, die damals nach Auschwitz-Birkenau verbracht wurden und hier gestorben sind, wurden als Abschaum der Nation hingestellt. Aber nun erkennen wir sie dankbar als die Zeugen der Wahrheit und des Guten, das auch in unserem Volk nicht untergegangen war. Wir danken diesen Menschen, dass sie sich der Macht des Bösen nicht gebeugt haben und so als Lichter in einer dunklen Nacht vor uns
stehen.“4


Wir wissen, dass es dieser Lichter in der dunklen Zeit in Deutschland viel zu wenig gab. Aber es gab sie, und deshalb können und müssen wir von ihnen lernen.


   1
    Vgl. Manfred Deselaers, Papst Johannes Paul II und Auschwitz. Oświęcim 2016.
    https://sdm2016.cdim.pl/index.php/de/2-multilang/84-papst-johannes-paul-ii-und-auschwitz#_ftn1
    [abgerufen 5.2.2025]
  2
   Manfred Deselaers, Deutsche katholische Priester in nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

   Krakau 2022. https://cdim.pl/de/texte/deselaers-manfred-deutsche-katholische-priester-in-
   nationalsozialistischen-konzentrationslagern/ [abgerufen 6.2.2025]

 3
  Vgl.: Priester unter Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung, im Auftrag der
  Deutschen Bischofskonferenz, Mainz 4. Aufl. 1988.
 4
  Ansprache von Benedikt XVI. im Konzentrationslager AUSCHWITZ-BIRKENAU am 28. Mai 2006.




Der Weg in die Auferstehung führt nur über die bis zum Ende gelebte Liebe. Das Osterlicht, die Liebe, die vom Jenseits her entgegenkommt, macht uns frei, selbst zu diesem Licht der Hoffnung und der Liebe für andere zu werden. Mir ist erst langsam klar geworden, wie wichtig die Märtyrer für uns sind. Sie zeigen uns die wahre Freiheit, die das Licht von Ostern schenkt. Es besiegt die Angst vor demTod und befreit uns, ganz unserem Gewissen zu folgen. Es lässt uns mit
aufrechtem Gang leben und hilft uns, sich der Unmenschlichkeit zu widersetzen.


    Warum schreibe ich das als Osterbesinnung im Jahr 2025?


    Weil “nach Auschwitz“ – “vor ...” ist.


Wir alle spüren, dass wir in unruhiger werdenden Zeiten leben. Sie können uns
Angst machen. Aber Angst hilft nicht. Nur Liebe hilft.
Oft wissen wir nicht, was wir tun sollen. Aber Gott werden die Ideen nicht ausgehen. Wir müssen uns nur seinem österlichen Licht zuwenden und ihm geduldig zuhören. Dann werden uns die kleinen Schritte klarer, die als Nächstes
dran sind, um Liebe in unsere Konflikte zu bringen.


           

 Papst Franziskus hat uns mit seiner Enzyklika DILEXIT NOS im vergangenen Jahr an die Bedeutung der Herz-Jesu-Verehrung   erinnert. Wenn wir in unserem Herzen versuchen, mit dem Herzen Jesu mitzulieben, haben wir einen festen Halt
 in den Stürmen unserer Zeit und können österliche Pilger der Hoffnung und des Friedens sein.

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             Manfred Deselaers hat einen “Brief von Christen aus Deutschland, Polen und der Ukraine an die
            Christen der Orthodoxen Kirche in Russland” initiiert. Mehr unter www.lettertorussia.eu
            Im Herder Verlag ist ein Interview-Buch mit Piotr Zylka und Manfred Deselaers erschienen: “Die Wunde

            von Auschwitz berühren. Ein deutscher Priester erzählt.” https://www.herder.de/geschichte-
            politik/shop/p4/83051-die-wunde-von-auschwitz-beruehren-gebundene-ausgabe/

            Das Buch über den Kommandanten von Auschwitz “Und Sie hatten nie Gewissensbisse?” ist im Verlag

           der Gedenkstätte Auschwitz wieder lieferbar. https://books.auschwitz.org/en_US/p/Manfred-Deselaers-